Projekte: Recherchen, Lesungen, Vorträge

„Zwei Familien, zwei Vergangenheiten – eine Zukunft“

Flyer zwei Familien (der deutsche Flyer zum Downloaden)

„Two families, two pasts – one future“

Download in English language: Two families, two pasts – one future

„Dwie rodziny, dwie przeszłośći – wspólna przyszłość“

Download wersja polska: Dwie rodziny, dwie przeszłośći – wspólna przyszłość

http://franciszekwasyl.wordpress.com/dwie-rodziny/

Presse:

Westfälische Rundschau vom 10. April 2010: Die Enkel gehen auf Spurensuche

Michał Pazdanowski
Michał Pazdanowski (1903-1944)

„Oh, my grandfather was killed in Auschwitz“ – Warum eine Polin und der Enkel eines SS-Mannes das Leben und Sterben von Michał Pazdanowski nachrecherchieren wollen

Die gute Nachricht steht gleich am Anfang der Postkarte: „Liebe Mutter! Ich lebe u. bin gesund.“ Doch schon im nächsten Satz drückt der Absender seine Verzweiflung aus: „Erhalte aber letzten Zeiten keine Postsendungen v. Euch. Ich bin unruhig …“ Und zwischen der Bitte um ein Lebenszeichen von seiner Mutter Jadwiga, seiner Frau Iza und den Kindern, der Bitte um Brot, Früchte, Zwiebeln, Knoblauch und Maggiwürfel, stellt er die Fragen, die ihn quälen: „Warum erhalte ich seit acht Wochen keine Sendungen? Ist jemand krank?“ Und wieder: „Sind Sie zu Hause nicht gesund? Warum habe ich nichts am Namenstag erhalten?“

Die Postkarte trägt das Datum vom 30. September 1943, links vom Adressfeld hat jemand mit fetten Lettern das Wort „Zensiert“ gestempelt. Der Absender ist Schutzhäftling Michael Pazdanowski, K.L. Waffen SS Lublin I – der Großvater meiner polnischen Frau Gabriela. Diese Postkarte aus dem Konzentrationslager Majdanek ist eines der wenigen Dinge, die wir von Michał Pazdanowski, geboren am 22. Sept. 1903 in Poręba Żegoty, besitzen. Über ihn wurde in der Familie meiner Frau so wenig geredet wie in meiner Familie über meinen Großvater. Er war – wie mein Großvater – ein Tabu. Es war, als ob beide Großväter nicht existiert hätten, so als ob jemand einen Zweig aus dem jeweiligen Familienstammbaum herausgesägt hätte.

Mein Großvater Lothar von Seltmann, geboren 1917 in Graz, hatte  während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls in Lublin gelebt; zwei seiner sechs Kinder sind dort geboren. Ich habe – gegen den Widerstand von Teilen meiner Familie – sein Leben nachgezeichnet und in dem Buch „Schweigen die Täter, reden die Enkel“ (Büchergilde 2004, Fischer 2006) öffentlich gemacht. Was ich in jahrelangen Recherchen herausgefunden hatte, war in der Tat nicht angenehm: Mein Großvater gehörte in Lublin zum Stab von Odilo Globocnik, einem der brutalsten Massenmörder des Dritten Reiches – Globocnik war für die „Aktion Reinhardt“ und damit für den Tod von rund 1,75 Millionen Juden verantwortlich. Mein Großvater war zunächst mit der „Fahndung nach deutschem Blut“ beauftragt, wechselte dann 1942 als „Kulturreferent“ in den Stab des Höheren SS- und Polizeiführers Friedrich-Wilhelm Krüger nach Krakau und gehörte im Frühjahr 1943 zu einem SS-Bataillon, das den Warschauer Ghettoaufstand niederschlug. Danach brach sein steiler Aufstieg in der SS-Hierarchie abrupt ab: Er absolvierte noch einige Lehrgänge an SS-Junkerschulen, war immer wieder krank und setzte höchstwahrscheinlich am 14. Februar 1945 seinem Leben selbst ein Ende. Seine Frau starb im November 1945, und sechs Kinder mussten elternlos aufwachsen.

„Oh, my grandfather was killed in Auschwitz!“ Mit allen Reaktionen hatte ich gerechnet, nur nicht mit dieser. Ich hatte im Juli 2006, ohne es zu beabsichtigen, in einer zufälligen Runde im Café Singer in Krakau von meinem SS-Großvater erzählt. Im Café Singer, das im ehemals jüdischen Stadtviertel Kazimierz liegt, hatte ich weite Teile des Buches geschrieben. Krakau war, seitdem ich als Kind im Pass meines Vaters die Stadt an der Weichsel als seinen Geburtsort entdeckt hatte, immer eine Art Mythos für mich gewesen – ein Ort der Sehnsucht und des Fernwehs, so wie Timbuktu, Samarkand oder Macchu Picchu. Und so war ich immer wieder nach Krakau gereist, das erste Mal noch in Zeiten des Kommunismus.

Die Polin in der zufälligen Runde, deren Großvater in Auschwitz ermordet wurde, und ich, dessen Großvater ein Polen- und Judenmörder war, wir sind in Kontakt geblieben. Im Juli 2007 haben wir in Krakau geheiratet – der Geister der Vergangenheit zum Trotz, die von Anfang an in unserem gemeinsamen Leben präsent waren. Dass meine Frau Gabriela den Enkel eines deutsch-österreichischen Polen- und Judenmörders geheiratet hat, ist in Teilen der Familie nicht gerade auf Begeisterung gestoßen – ich brauche die Reaktionen hier nicht näher ausmalen.

Oder vielleicht sind wir gerade wegen dieser Geister der Vergangenheit zusammen?

„Es kehrt alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelöst ist“, hat der Dichter Hermann Hesse gesagt. Wie wahr dieser Satz ist, haben die Reaktionen auf das Buch „Schweigen die Täter, reden die Enkel“ gezeigt: Es hat mich überrascht, für wie viele Nachfahren von NS-Tätern die familiäre Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus eine Last ist – auch wenn sie wissen, dass sie für die Verbrechen ihrer Vorfahren keine Schuld tragen. Sie haben damals nicht gelebt, also können sie auch nicht für etwas verantwortlich gemacht oder schuldig gesprochen werden, was sie nicht getan haben. Moralische Schuld vererbt sich nicht. Aber die psychischen, moralischen und sozialen Folgen ihres Ver- und Beschweigens beschädigen noch die folgenden Generationen. Die Vergangenheit reicht in die Gegenwart hinein, wirkt in uns weiter, ob es uns passt oder nicht.

Wie stark die Vergangenheit auf die Gegenwart wirkt, habe ich in ungeahnter Weise in der Familie meiner Frau erfahren: Für viele der heute 16- oder 40-jährigen Deutschen ist die NS-Zeit unendlich lange her, sind Krieg, Vernichtung und Holocaust nur ein paar Seiten im Geschichtsbuch. Für die Nachfahren von Opfern hingegen ist die NS-Zeit auch siebzig Jahre nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen gegenwärtig – als Trauma gegenwärtig.

Und dieses Trauma verjährt nicht. Das Argument, „es ist schon lange her“, ist kein Argument für jemanden, dessen Vater oder Großvater in Auschwitz vergast oder auf einem Todesmarsch zugrunde gegangen ist. Siebzig Jahre. Es kann sein, dass für die einen siebzig Jahre vergangen sind. Für die anderen ist es nur eine Sekunde. Eine Sekunde, dann haben sie die Bilder von damals wieder vor sich: schonungslos scharf, erbarmungslos ewig. Und diese Sekunde währt dann ein ganzes Leben.

Ihr Leben lang hat meine Frau wissen wollen, was mit ihrem Großvater geschehen ist. Oder mit dessen älterem Bruder Jerzy Pazdanowski (1902 bis 1979), einem Kunstmaler, der in Dachau interniert und zeit seines Lebens von der Inhaftierung gezeichnet war. Doch sie hat nur zaghaft gefragt, und auf ihre wenigen Fragen keine Antworten bekommen. Die Angst, mit etwas Schrecklichem konfrontiert zu werden, war zu stark. Erst wir beide gemeinsam haben einen erneuten Anlauf genommen: Wir wollen nun das Leben und Sterben von Michał Pazdanowski nachrecherchieren – und stellen fest, dass wir in ersten Gesprächen auf die gleichen Reaktionen stoßen wie ich in meiner Familie bei der Recherche nach meinem Großvater: Die meisten wollen nicht darüber reden oder interessieren sich angeblich nicht dafür, andere signalisieren, dass sie etwas erzählen könnten oder Dokumente besitzen, eine Minderheit ist froh, dass endlich das Tabu aufgebrochen wird. Dass meine Frau mit einem Täter-Enkel verheiratet ist, erleichtert nicht unbedingt die Recherche, wenngleich wiederum eine Minderheit uns gerade deswegen unterstützen möchte – um zu zeigen, dass die Schatten der Vergangenheit nicht ewig Gegenwart und Zukunft verdunkeln dürfen.

Die Recherche nach dem Leben und Sterben von Michał Pazdanowski haben wir unter das Motto gestellt: „Zwei Familien, zwei Vergangenheiten – eine Zukunft“. Mit dem Projekt möchten  wir aufzeigen, dass ein Zusammenleben von Angehörigen aus Opfer- und Täterfamilien möglich ist – auch wenn die Vergangenheit weiterhin das heutige Alltagsleben prägt. Die Recherche ist alles andere als ein Privatvergnügen . Sie ist – davon sind wir mehr denn je überzeugt – eine Aufgabe von gesellschaftlicher und politischer Bedeutung mit internationaler Dimension. Ob in Ruanda, auf dem Balkan oder in Deutschland/Polen: Immer wieder treffen Täter– und Opferfamilien aufeinander. Die Familien von Seltmann und Pazdanowski stehen daher exemplarisch für zahlreiche andere Familien, die lernen müssen, mit einer belastenden Vergangenheit umzugehen. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal in einem Interview gesagt, statt von der „Gegenwart der Vergangenheit“ zu sprechen solle man lieber von der „Zukunft der Vergangenheit“ reden. In diesem Sinne ist auch unser Projekt in die Zukunft gerichtet. Wir sind uns sicher: Nur wenn der offene Umgang mit der Vergangenheit gelingt, kann es zu einem Prozess des gegenseitigen Verstehens kommen und damit zu einem friedlichen Miteinander in Gegenwart und Zukunft.

Bisher wissen wir nicht viel über Michał Pazdanowski: Er hat in den 1920er Jahren bei Cracovia Krakau Eishockey gespielt, in Krakau und an der Kantonalen Alpwirtschaftlichen Schule Brienz (Schweiz) studiert und von 1937 bis zu seiner Deportation im November 1942 eine Schule in Żabie, heute Verkhovyna in der Westukraine, geleitet. Er war in Majdanek inhaftiert und ist vermutlich im April 1944 in Auschwitz ermordet worden. Seine Frau Izabela konnte mit den drei Kindern auf abenteuerliche Weise, die es noch zu recherchieren gilt, den Nazis entkommen; sie ist 1990 in Paris gestorben.

Die Recherche nach Michał Pazdanowski wird uns in die ukrainischen Karpaten führen, in die Archive der Gedenkstätten Majdanek und Auschwitz, in Archive in L’viv (Lemberg), Ivano Frankivsk (Stanislau) und Warschau. Und zu Familienmitgliedern, die weit verstreut leben, zum Beispiel in Frankreich, wo die älteste Tochter von Michał Pazdanowski wohnt. Sie, Jahrgang 1938, hat als einzige noch Erinnerungen an ihren Vater, seine Verhaftung und an die Flucht mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern.

Das Ergebnis der Recherche soll in einem Buch und auch in einem Dokumentarfilm veröffentlicht werden; deutsche und polnische Verlage und Sendeanstalten haben bereits Interesse signalisiert. Doch die Kosten für die Recherche, die sich auf rund 25.000 Euro belaufen, müssen wir zunächst selbst aufbringen. Das können wir jedoch nicht aus eigener Kraft leisten. Dank der Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung, des sächsischen Landesbischofs Jochen Bohl, des Vereins „Haus unterm Regenbogen“, des Organisten Michael Wiedenmann und zahlreicher Einzelspender haben wir etwa 6.000 Euro zusammen. Ein Antrag bei der „Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit“ ist gestellt, doch wir benötigen noch weitere Eigen- und Drittmittel.

Meine Frau verweist gerne zur Erläuterung des Projekts auf die antike Mythologie: Medusa, dieses schlangenhaarige Wesen, ist für sie eine Metapher für den Krieg. Medusa konnte mit ihrem Blick Menschen in Steine verwandeln – so wie der Krieg unsere Eltern versteinert hat: Es ist ihnen nicht möglich, über ihre Kriegserlebnisse und deren Auswirkungen auf ihr späteres Leben zu sprechen. Die von Medusa versteinerten Menschen konnten erst durch die Tränen eines Einhorns zurückverwandelt werden. Und so sind auch heute Tränen nötig, um eine Heilung von den traumatischen Erlebnissen und Erinnerungen zu erlangen. Die Distanz der dritten Generation ermöglicht es, Fragen zu stellen und der schmerzlichen Wahrheit ins Auge zu sehen. Und damit auch den Fluch der Medusa zu bannen. Denn: „Es kehrt alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelöst ist.

Die Böll-Stiftung hat jetzt ein Konto für das Projekt eingerichtet. Damit ist gewährleistet, dass alle eingehenden Beiträge sachgebunden verwendet werden. Außerdem kann die Böll-Stiftung Spendenbescheinigungen ausstellen.

Weiterdenken e.V. Dresden
Bank für Sozialwirtschaft
BLZ 85020500
Konto: 3573200
Stichwort: „Spende Verein – Zwei Familien“

Bieten können wir:
– eine namhafte Erwähnung in einer evtl. Publikation
– eine Spendenbescheinigung, steuerabzugsfähig
– als persönlichen Dank eine gute polnische Wurst und/oder eine Flasche Wiśniówka

Bisher haben wir rund 5000,- Euro, zumeist aus privaten Spenden, zusammen. Wir brauchen aber noch viel mehr – und sind daher dankbar für jede Unterstützung!

Nähere Infos über info@uwe-von-seltmann.de.

Yippie, I’m a poet – Bob Dylan als Dichter und Poet

Nähere Infos: demnächst …

The Sign on the cross – Bob Dylan and God

There are over 20 million Bibles distributed every year, and the Bible can be read aloud in 70 hours – though you might want to take a nap between the Old and New Testaments. Nine out of every ten Americans own at least one Bible –what’s up with the other guy?
Bob Dylan, Theme Time Radio Hour, Episode 19: „The Bible“, 6 September 2006.

Ist ‘Bob Dylan’ von ‘Dylan Thomas’ hergeleitet worden? Die einzige Person, die es wissen kann, ist Bob Dylan Selber… Unter anderen von diesem symbolistischen Dichter ließ der Sänger sich inspirieren, auch aber von Arthur Rimbaud und sogar von der Bibel!
worldticketshop.de (Werbung für Konzertkarten für die Dylan-Tournee 2009)

Oh, when your, when your days are numbered
And your nights are long,
You might think you’re weak
But I mean to say you’re strong.
Yes you are, if that sign on the cross,
If it begins to worry you.

Bob Dylan, 1967, The Basement Tapes

Now I’m trying to get to heaven before they close the door.
Bob Dylan, 1997, Time out of mind

Zeit seines Lebens, das ist meine These, hat der inzwischen 68-jährige Bob Dylan mit Einem gerungen: mit Gott. Von seinen Anfängen als junger Folk- und Protestsänger Anfang der 1960er Jahre bis zu seinem altersweisen Spätwerk sind Gericht und Gnade, Sünde und Erlösung, Heil und Unheil, Himmel und Hölle Dylans zentralen Themen. Die Sehnsucht nach dem Paradies, nach einer anderen, besseren Welt, nach der goldenen Stadt, nach dem himmlischen Jerusalem treibt ihn umher, in seinen Protestsongs, in den Liebesliedern (an wen sind sie gerichtet?), in seinen Erzählgeschichten – in der Hoffnung, dass er noch rechtzeitig an die Himmelstür klopft, bevor das Tor geschlossen wird. Judas und St. Augustin, Abraham, der auf dem Highway 61 seinen Sohn töten soll, und der Erzengel Gabriel, der in sein Horn stößt, Jesus und der Teufel bevölkern die Songwelt des Jokermans.

Die Texte des Juden und zeitweise (?) wiedergeborenen Christen Bob Dylan sind gespickt mit Anspielungen und Zitaten aus der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament – nicht nur in seiner „Born-Again“-Phase. Ohne Kenntnis der Bibel sind sie kaum zu finden und schwer zu verstehen.
Während in den USA Rabbiner und Theologen diskutieren, ob Dylan nun Jude, Christ, Judenchrist, Agnostiker, Zyniker oder alles zusammen sei, wird Dylans Glaube in Deutschland weitgehend schamhaft verschwiegen – „als handele es sich um einen Schandfleck“ (Richard Klein). Einzig in der Dylan-Biografie von Heinrich Detering (Reclam 2007) und in dessen Vortrag „I believe in You“ – Dylan und die Religion“ (Bob Dylan – Ein Kongress, Suhrkamp 2007) wird Dylans Religiosität als eingeständiges Thema gewürdigt. Dass sich Dylan selbst nicht zu den Infidels zählt, ist auf seinen jährlich rund 100 Konzerten zu hören: Titel mit bekenntnishaftem Charakter – eigene Lieder wie Every grain of sand oder Traditionals wie Somebody touched me – gehören zu seinem Standardrepertoire.

Dylans Ringen mit Gott zeichne ich an einem ebenso spannenden wie vergnüglichen Abend nach: anhand ausgewählter Texte aus allen seinen Schaffensperioden, anhand seiner Interview und seiner Lebensgeschichte. Und natürlich mit viel Musik und raren Aufnahmen aus seinen Konzerten.

Nähere Infos über info@uwe-von-seltmann.de.

Das Kaffeehaus als Wille und Vorstellung ­ oder: Literaten im Wartesaal der Poesie

· Die Tante Jolesch ­- Friedrich Torberg

· Adresse: Café Central, Wien I. – Peter Altenberg, Anton Kuh und Egon Friedell

· Die letzten Tage der Menschheit ­- Karl Kraus

· Geschichten aus dem Wienerwald ­- Ödön von Horvath

· Der heilige Trinker -­ Joseph Roth

· Die Welt von Gestern ­- Stefan Zweig

· Im Sog des Kafkaesken ­- Franz Kafka

  • 1. Folge: Die Tante Jolesch -­ Friedrich Torberg

Sie kamen aus Czernowitz, aus Prag oder aus böhmischen Dörfern und fanden in Wien eine neue Heimat: die Kaffeehausliteraten. Sie versäumten es nie, ihr allnachmittägliches Erscheinen mit der Mitteilung einzuleiten, sie seien nur ausnahmsweise gekommen und müssten gleich wieder gehen, weil sie ihre Zeit nicht mit unnützem Herumsitzen und Herumreden vergeuden wollten. Sie blieben dann bis zur Sperrstunde, deren Ankündigung durch den Herrn Oberkellner ihnen ein entsetztes „Was – schon?!“ entlockte. Und in der Zwischenzeit schrieben und schnorrten sie in ihrer nomadenhaften Häuslichkeit ­ nicht zuhause, aber doch nicht in der frischen Luft. Herr Ober, eine Melange!
Friedrich Torberg hat die Geschichten aus der Zeit vor dem Untergang des Abendlandes, als die letzten Tage der Menschheit noch nicht angebrochen waren, für die Nachwelt aufgezeichnet.

  • 2. Folge: „Adresse: Café Central, Wien I.“ ­ Peter Altenberg, Anton Kuh und Egon Friedell

Die „kleine miserable Welt“ der Wiener Nachtcafés war reich an skurrilen Käuzen und Originalen. Drei dieser Sonderlinge werden vorgestellt: Es sind der „Afrikaforscher der Alltäglichkeit“ und Bohemien par excellence Peter Altenberg (1859 bis 1919), der „geniale Dilettant“ und Verfasser einer epochalen Kulturgeschichte Egon Friedell (1878 bis 1938) sowie der „Sprechsteller“ und „König der Schnorrer“ Anton Kuh (1890 bis 1941). Bei allen Unterschieden haben diese drei schillernden und faszinierenden Dichter-Gestalten eines gemeinsam: in der heutigen technokratischen Welt wäre für sie kein Platz mehr.

  • 3. Folge: Die letzten Tage der Menschheit – Karl Kraus

Kaum ein Literat hat mit seinen Veröffentlichungen derart polarisiert wie Karl Kraus (1874 bis 1936). Seine Gegner bekämpften, verachteten und hassten ihn, seine Verehrer verschlangen jede Zeile der 922 Ausgaben seiner Zeitschrift „Die Fackel“, die er über Jahrzehnte ganz alleine voll schrieb. Der unermüdliche Kämpfer gegen die Korruption des Geistes und die Verschluderung der Sprache ist heute aktueller denn je: Sein epochales Meisterwerk „Die letzten Tage der Menschheit“ stellt die skrupellose Kriegstreiberei an den Pranger. Der Kämpfer gegen bürgerliche Doppelmoral soll auch selbst zu Wort kommen ­ mit historischen Aufnahmen.

  • 4. Folge: Geschichten aus dem Wiener Wald – Ödön von Horváth

Er starb den tragischsten Tod der Literaturgeschichte ­ einen Tod, wie er in seiner virtuosen Fatalität nicht konsequenter für sein Leben hätte sein können. Sein Tod machte ihn legendär, seine Dramen und Romane machen ihn unsterblich. Ödön von Horváths (1901 bis 1938) wichtigste Werke wie „Geschichten aus dem Wiener Wald“, „Der ewige Spießer“ oder „Jugend ohne Gott“ sind von zeitloser Aktualität. Als Chronist seiner Zeit bekämpfte er Spießbürgertum und dumpfe Kleinbürgerlichkeit, den Nährboden für den Nationalsozialismus. Seine Aufgabe als Schriftsteller sah er in der Aufklärung gegen eine Übermacht der Verdummung. Denn: „Das Ziel jedes Staates“, so Horváth, „ist die Verdummung des Volkes. Keine Regierung hat ein Interesse daran, dass das Volk gescheit wird.“

  • 5. Folge: Der heilige Trinker – Joseph Roth

„Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod“. Das sind die letzten Worte aus Joseph Roths letztem Meisterwerk „Die Legende vom heiligen Trinker“. Joseph Roth (1894 bis 1939) hat die Veröffentlichung des Büchleins nicht mehr erlebt ­ und sein Wunsch auf einen schönen Tod hat sich nicht erfüllt. Der große Journalist und Dichter, der für die bedeutendsten Zeitungen Europas schrieb und unvergleichliche Romane wie „Hiob“ oder „Radetzkymarsch“ veröffentlichte, starb vereinsamt in einem Pariser Spital. Seine Flucht vor den Nationalsozialisten war damit zu Ende, ­ bevor die Nazis ihn in einem Konzentrationslager vernichten konnten.

  • 6. Folge: Die Welt von gestern – Stefan Zweig

„Rätselhafte psychologische Dinge haben über mich eine geradezu beunruhigende Macht“, bekannte Stefan Zweig (1881 bis 1942). „Es reizt mich bis ins Blut, Zusammenhänge aufzuspüren…“ Die Verworrenheit seiner „dämonischen Naturen“ spiegelte für den weltbekannten Dichter auch die Krise seiner Zeit wider. „Nachdem die Heimat meiner Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selbst vernichtet hat“, schrieb Stefan Zweig in seinem Abschiedsbrief, habe er keine Kraft mehr, um noch einmal völlig neu zu beginnen. 1942 setzte der große Humanist und Pazifist im brasilianischen Exil seinem Leben selber ein Ende. Die langen Jahre „heimatlosen Wanderns“ auf der Flucht vor den Nationalsozialisten hatten ihn zermürbt.

  • 7. Folge: Im Sog des Kafkaesken – Franz Kafka

Wer Kafka ist, schrieb einst Kurt Tucholsky, „wissen leider noch viel zu wenige“. Das hat sich geändert: Franz Kafka (1883 bis 1924) ist heute der einzige deutschsprachige Schriftsteller, dessen Name zu einem Adjektiv wurde: Als „kafkaesk“ werden gespenstische, groteske und absurde Geschehnisse bezeichnet. Schon die ersten Sätze seiner Erzählungen und Romane ziehen die Leser in einen Bann. Wer beispielsweise den Anfang der „Verwandlung“ liest: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ ­ der findet sich unweigerlich im Sog des Kafkaesken wieder.

Nähere Infos und Anfragen für Lesungen unter info@uwe-von-seltmann.de.

Ich bin in Sehnsucht eingehüllt ­ – Literarische Reisen nach Galizien und in die Bukowina

  • 1. Folge: Das Land, in dem Menschen und Bücher lebten ­ – Eine literarische Reise nach Galizien und in die Bukowina

„Die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme“, hatte sich Paul Celan einst seinen Lesern vorgestellt, „dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein.“ Der Dichter der „Todesfuge“, dessen Worte „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ zu einem geflügelten Satz wurden, stammt aus einer Gegend, die gemeinhin in Vergessenheit geraten ist. Sie liegt jenseits der künftigen EU-Außengrenze, in der Ukraine, und wird gern mit einer gleichnamigen spanischen Provinz verwechselt: Galizien. Nur wenige Ausländer verschlägt es in den einstigen östlichen Vorposten der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Es sind meist literarisch Interessierte, die wissen wollen, woher Schriftsteller wie Joseph Roth, Rose Ausländer oder Manès Sperber kamen. Oder es sind Juden aus Israel oder Amerika, die zu den Gräbern ihrer Vorfahren und den Lehrhäusern der Wunderrabbis und ihren frommen Anhängern pilgern.

  • 2. Folge: „Die Schwarze Milch der Frühe“ – Die Barbarei in Galizien

Während des Zweiten Weltkriegs haben die Nationalsozialisten in Galizien und in der Bukowina eine jahrhundertealte Kultur vernichtet. Zu den Opfern der deutschen Barbarei zählten auch zahlreiche jüdische Dichter, die aus ihrer Heimat vertrieben und in Todeslagern ermordet wurden. Ihnen soll der zweite Abend in der Veranstaltungsreihe „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt – Literarische Reisen nach Galizien und in die Bukowina“ gewidmet sein. Der Görlitzer Journalist und Schriftsteller Uwe von Seltmann erinnert an den „polnischen Kafka“ Bruno Schulz, den Verfasser der „Zimtläden“, der auf offener Straße von einem SS-Mann erschossen wurde, an Selma Meerbaum-Eisinger, die 18-jährig in einem Konzentrationslager starb, und an Paul Celan, der zwar die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebte, aber nie die Ermordung seiner Eltern verwand. Celan, der 1970 in Paris seinem Leben selbst ein Ende setzte, hat in der „Todesfuge“ versucht, den NS-Terror in Worte zu fassen: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, sein Auge ist blau, er trifft dich mit bleierner Kugel, er trifft dich genau.“

  • 3. Folge: Ein verspätetes Echo – Die Renaissance der jiddischen Dichter

Es gibt eine Zeit in seinem Leben, über die der 91-jährige Josef Burg nicht spricht. Der letzte noch lebende jiddische Schriftsteller hat keine Worte für die Jahre von 1940 bis 1980, in denen er nicht schreiben durfte. Doch heute hat der einzige Übriggebliebenen aus der großen Tradition der Czernowitzer jüdischen Literatur ein verspätetes Echo auf sein Schaffen bekommen: Er wird mit Ehrungen und Preisen ausgezeichnet. Jiddischen Dichtern wie Burg soll der dritte Abend in der Veranstaltungsreihe „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt – Literarische Reisen nach Galizien und in die Bukowina“ gewidmet sein. Der Görlitzer Journalist und Schriftsteller Uwe von Seltmann erinnert an den Fabeldichter Eliezer Steinbarg, an Itzig Manger, den Verfasser des wunderbaren „Buch vom Paradies“, und an einen Lyriker und Schriftsteller, der ebenfalls erst mit über 90 Jahren so etwas wie einen späten Ruhm ernten durfte: Moses Rosenkranz, der 2003 im Alter von 99 Jahren im Schwarzwald verstorben ist.

  • 4. Folge: Die Venus im Pelz ­ Ostjüdische Dichter im Kaffeehaus

Der Begriff „Masochismus“ ist fast jedem bekannt. Kaum jemand kennt jedoch den unfreiwilligen Namensgeber für diese sexuelle Obsession: den 1836 in Lemberg geborenen Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch. Dass der Verfasser des erotischen Romans „Venus im Pelz“ auch einfühlsame Geschichten aus Galizien schrieb und ein Kämpfer gegen den Antisemitismus war, blieb weitgehend unbeachtet. Am vierten Abend der Veranstaltungsreihe „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt – Literarische Reisen nach Galizien und in die Bukowina“ erinnert der Görlitzer Journalist und Schriftsteller Uwe von Seltmann an Sacher-Masochs galizische Geschichten. Der Abend widmet sich darüber hinaus dem „Kaffeehaus-Hiob“ Joseph Roth, einem der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, und dessen treuen Freund Soma Morgenstern (1890 bis 1976), der in seinen Jugenderinnerungen „In einer anderen Zeit“ eine verloschene Welt noch einmal lebendig werden lässt.

  • 5. Folge: Von Dorfgehern und Luftmenschen – Geschichten aus dem Ghetto, dem Paradies und der Hölle

„Das Land hat in Westeuropa einen üblen Ruf“, schrieb der Schriftsteller Joseph Roth 1924 in der Frankfurter Zeitung. „Der wohlfeile und faule Witz des zivilisierten Hochmuts bringt es in eine abgeschmackte Verbindung mit Ungeziefer, Unrat, Unredlichkeit.“ Das Land, aus dem Roth berichtet, ist Galizien, das dennoch mehr Kultur hatte, als seine mangelhafte Kanalisation vermuten ließ. Am fünften und letzten Abend der Veranstaltungsreihe „Ich bin in Sehnsucht eingehüllt – Literarische Reisen nach Galizien und in die Bukowina“ liest der Görlitzer Journalist und Schriftsteller Uwe von Seltmann Geschichten aus dieser Gegend der „weltverlorenen Einsamkeit“. Sie schildern das Leben im Ghetto, dem Paradies und der Hölle. Zu Wort kommen Dichter wie Itzig Manger, Karl Emil Franzos, Soma Morgenstern und Edgar Hilsenrath, der überliefert hat, wie eine jüdische Großmutter dem österreichischen Kaiser das Leben rettete. Sie berichten in ihren Erzählungen aus einer verloschenen Welt, die dennoch in ihrem Mythos weiterlebt.

Nähere Infos und Anfragen für Lesungen unter info@uwe-von-seltmann.de.

Das Land, in dem Menschen und Bücher lebten

Leserreise der evangelischen Wochenzeitungen »Die Kirche«
und »DER SONNTAG« nach Galizien und in die Bukowina
vom 16. bis 25. August 2007

»Das Land, in dem Menschen und Bücher lebten« – mit diesen
Worten stellte einst der Dichter Paul Celan den Lesern in
Deutschland seine Heimat vor. Sie befi ndet sich in einer Gegend,
die heute jenseits der neuen EU-Außengrenze liegt und erst seit der
Orangen Revolution in der Ukraine wieder in den Blickpunkt der
Öff entlichkeit gekommen ist: Galizien und die Bukowina.
Wir wollen auf unserer Leserreise das Land entdecken, in dem
Menschen und Bücher lebten, seine wechselhafte Geschichte erkun-
den, die evangelisch-lutherische Gemeinde in Lemberg besuchen,
uns über das Judentum informieren und die anmutige Landschaft
erfahren und erlaufen. Und wir wollen Menschen begegnen, die uns
einen Einblick in das Leben der heutigen Westukraine bieten.
Die Reise wird in Kooperation mit EOL-Reisen Berlin durchgeführt.

Reiseleitung:
Uwe von Seltmann, Chefredakteur »DER SONNTAG«,
Paweł Szopa, »Amber-Tours« Krakau

Das Komplettprogramm Galizien können Sie im PDF-Dokument betrachten (hier klicken).

»Hier atmet man ganz Europa …«

Leserreise der evangelischen Wochenzeitungen »Die Kirche«
und »DER SONNTAG« nach Odessa vom 26. April bis 5. Mai 2007

Odessa, die ukrainische Hafenstadt am Schwarzen Meer, ist eine
multinationale Stadt mit südländischem Flair. »Hier atmet man ganz
Europa«, schwärmte einst der Schriftsteller Alexander Puschkin.
Die angesehensten Architekten Europas wurden geholt, als Odessa
im 19. Jahrhundert zu einer Handelsmetropole ausgebaut wurde.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Odessa das bedeutendste
jüdische Zentrum im Zarenreich. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten
180.000 Juden in der Stadt (40 Prozent der Bevölkerung), die Hälfte
von ihnen wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Seit der
Unabhängigkeit der Ukraine blüht die Stadt wieder auf.
Wir wollen auf unserer Leserreise die Vergangenheit und Gegenwart
Odessas erkunden, die evangelisch-lutherische und die jüdische
Gemeinde besuchen und Menschen begegnen, die uns einen
Einblick in das heutige Leben in Odessa bieten.
Die Reise wird in Kooperation mit EOL-Reisen Berlin durchgeführt
(www.eol-reisen.de).
Reiseleitung: – Uwe von Seltmann, Chefredakteur »DER SONNTAG«
– Sibylle Sterzik, Redakteurin »Die Kirche«
– Paweł Szopa, »Amber-Tours« Krakau

Das Komplettprogramm Odessa können Sie im PDF-Dokument betrachten (hier klicken).

 

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